Achtung, Homeoffice!
Homeoffice – für viele ist das durch die coronabedingten Beschränkungen der neue Büroalltag. Auch für Herdrebellin Tanja Wagner hat sich seit des Lockdowns der Arbeitsalltag verändert. Grund genug, mal wieder einen Blick in ihre Welt zu werfen.

Es ist Montagmorgen und seit vier Monaten „coroniert“ Deutschland. Eigentlich sollte ich jetzt schon seit einer Stunde im Auto sitzen, um zu einer Veranstaltung zu fahren. Eigentlich … Aber ich sitze im Homeoffice. Alles ist anders und der normale Alltag wird ziemlich auf den Kopf gestellt.
Es fängt schon damit an, dass mir die Autofahrten fehlen. Gar nicht mal die Fahrten an sich, sondern die Beschimpfungen und Bedrohungen, die ich anderen Verkehrsteilnehmern gegenüber ausspreche. Jeder braucht ja so sein Ventil ... Seit Ende Februar gehe ich nun zu Fuß zu meinen Terminen. Das Auto kann ich stehen lassen, denn ich habe exakt zehn Schritte vom Bett bis zum Büro. Wenn ich den Umweg über die Küche zum Kaffeeautomaten wähle, erweitert sich der Weg um 15 Treppenstufen und acht Schritte.
Die soziale Welt in puncto Arbeit beschränkt sich seit Ende Februar bei mir auf das Telefon und auf Skype. Beschimpft werden nur noch die Menschen, die mit mir in einem Haushalt leben. Mein neuer Morgen beginnt so: Statt die Verkehrsteilnehmer auf deutschen Autobahnen zu schikanieren, schicke ich nun ein nettes Lächeln an meine ca. 80-jährige Nachbarin auf der anderen Straßenseite, die bereits am Frühstückstisch sitzt. Jeden Morgen um die gleiche Zeit. Insgeheim bin ich mir sicher, dass sie meine Arbeitszeit akribisch protokolliert. Ich habe mich bei der Arbeit noch nie so überwacht gefühlt. Mindestens drei Stunden am Tag verbringt sie damit, Wäsche auf dem Balkon auf- und abzuhängen – meinen Arbeitsplatz dabei immer fest im Blick. Langsam schleicht sich der Gedanke ein, dass die Wäsche lediglich ein Alibi dafür ist, sämtliche Nachbarn auf Schritt und Tritt zu beobachten. Aber ich verstehe es ja, was soll sie auch sonst den ganzen Tag tun?
Routine ist schon etwas Komisches, man hasst sie, eigentlich. Und dann ertappt man sich dabei, sie doch ziemlich schnell zu vermissen. Doch zum Glück ist der Mensch ja anpassungsfähig und entwickelt alsbald eine neue. Nach ein paar Wochen mit Homeoffice und Social Distancing habe ich so meine eigene Routine und meinen eigenen Tagesablauf entwickelt. Ich praktiziere immer noch "Miracle Morning" – mit dem einzigen Unterschied, dass sich jetzt die Uhrzeit etwas nach hinten verschoben hat. Da kann man schon mal morgens in Jogginghose und noch nicht ganz wach den Rechner hochfahren, im Vorbeigehen einen Coffee to go grabben und erst einmal in Ruhe E-Mails checken. Das Ding mit der Jogginghose kann übrigens peinlich werden, wenn sich eine Telefonkonferenz überraschend in eine derzeit ach so beliebte Videokonferenz verwandelt und man auf dem Weg vom Bett ins Büro zwar die Küche kurz passiert, aber das Badezimmer leider ausgelassen hat.
Aus sicherer Quelle weiß ich, dass ich mit meiner neuen Morgenroutine nicht ganz allein bin. Beim Anblick der derzeitigen weitverbreiteten Jogginghosen-Vorherrschaft im Homeoffice dreht sich Karl Lagerfeld gerade bestimmt wie ein Schraubbohrer im Grab herum und ich merke so langsam, dass doch etwas Wahres an seinem Spruch, „Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren!“, dran ist. Ein weiterer Nachteil von zu bequemer Kleidung: Man verliert die Relation bezüglich des Verhältnisses Körperumfang und dehnbare Bundweite. Und hätte ich bei der Bestellung meines neuen textilen Desasters die derzeit verlängerten Lieferzeiten beachtet, hätte ich die Kleidung gleich eine Nummer größer bestellt. Und da kommen wir auch schon zur nächsten Falle hinsichtlich des Themas Homeoffice: die Nahrungsaufnahme und Flüssigkeitsversorgung.
Auch ein Thema, das in diesen Zeiten bei dem ein oder anderen etwas aus dem Ruder gelaufen ist ... Bei der Nahrungsaufnahme gibt es in Zeiten von Corona die eine Fraktion, die jetzt deutlich mehr Zeit dafür hat, sich mit dem, was auf den Teller kommt, zu beschäftigen. Die anderen hamstern Dosensuppen und Klopapier, damit man im schlimmsten Fall zehn Jahre das Haus nicht verlassen muss. Dazu hat die Nation das Brotbacken für sich entdeckt, denn warum sonst sind in allen Supermärkten Hefe, Mehl & Co. immerwährend ausverkauft?
Ich mache seit knapp drei Monaten einen Tauchkurs. In der Arktis. Na ja, besser gesagt in meinem Keller, denn da befindet sich meine Kühltruhe, die so groß ist, dass ich unbemerkt ganze Schweine einfrieren könnte. Und was sich da so auf dem Grund alles findet, ist wirklich erstaunlich!
Besonders, wenn man Gefriergut nicht beschriftet hat, weil man es ja nur mal eben „kurz“ einfriert und nach zwei Monaten diesen gefrorenen Klumpen nicht mehr der Kategorie Fleisch, Fisch oder Gemüse zuordnen kann. Rumfort (alles, was rumsteht und fortmuss) ist meine neue Art des Kochens. Das Beste daran: Ich habe Unmengen an Geld gespart und Kombinationen ausprobiert, an die ich mich vorher nicht herangetraut hätte. Manche kulinarische Erfahrung hätte ich allerdings nicht unbedingt machen müssen. Eine Studie hat belegt, dass nicht nur die häusliche Gewalt in diesen Zeiten zunimmt, sondern statistisch gesehen auch die Unfälle, die derzeit vermehrt im Haushalt passieren. Ich zum Beispiel habe mich beim Versuch, mit dem Bürostuhl zum Kühlschrank zu fahren, mit den Rollen in meiner Kuscheldecke verheddert und bin dann kurz vor der Zielgeraden unsanft auf dem Boden aufgeschlagen.
Und alles nur, weil ich mich zu einem der vielen Online-Tastings im Internet angemeldet habe und meine Tonic-Fläschchen kalt stellen wollte. Wenn man sich schon abends nicht mehr auf ein Glas „Was auch immer“ mit Freunden in einer Bar treffen kann, muss die Bar eben zu einem nach Hause kommen. Diesen Trend haben zum Glück viele Gastronomen und Barbetreiber erkannt und seitdem trudeln hier immer mal nette Pakete mit (hoch-)prozentigen Flüssigkeiten ein. Schließlich muss man die Menschen da draußen ja auch unterstützen ... Da fällt mir auf: Mittlerweile ist es doch schon 17.23 Uhr und ich habe in sieben Minuten Feierabend. Ich glaube, ich treffe mich heute Abend mal mit den Kollegen. Virtuell. Auf einen schnellen Drink. Oder auch zwei. Denn eins ist in diesen verrückten (Homeoffice-) Zeiten wichtig: wenn schon einsam, dann wenigstens gemeinsam.
Heute gibt es Tanjas „Pseudo-Bier Nr. 11“
Vielen Dank an Thorsten Schepers (Fachberater für Wein & Spirituosen)
Rezept für 1 Drink
Eiswürfel
1 sehr frisches Eiweiß
1/2 TL Zucker
1 Prise Salz
etwas Tonkabohne, fein gerieben (vorsichtig dosieren, der Geschmack ist intensiv)
4 cl Gin Mare (oder anderen Gin nach Gusto)
150 ml Prisecco Cuvée Nr. 11, gut gekühlt
Ein bauchiges Glas zuvor mit Eiswürfeln kühlen. In der Zwischenzeit das Eiweiß mit Zucker, Salz und Tonkabohne zu einem fluffigen Schaum aufschlagen (nicht ganz steif schlagen, sodass die luftigen Poren einem Bierschaum ähneln). Den Gin in das Glas geben und mit Prisecco Cuvée Nr. 11 auffüllen. Eine Tonka-Eiweiß-Krone auf das Glas setzen und sofort servieren. Der Drink schmeckt übrigens auch ohne den Gin köstlich und darf dann in dieser Form gerne schon morgens um 9 Uhr am Schreibtisch
