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Wie verändert Corona die Zahlungsbereitschaft und Wertschätzung für Lebensmittel?

Ein Interview mit Prof. Dr. Achim Spiller. Er ist Professor für „Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte“ an der Georg-August-Universität Göttingen.

Jörg Reuter sprach mit ihm über die ersten Ergebnisse der Studie, die er mit seinem Team in den letzten Wochen während der Coronakrise durchgeführt hatte. Als die beiden telefonierten, steckte Prof. Spiller mitten in der Auswertung. Ein Gespräch über die Krisenfestigkeit unseres Ernährungssystems, über neue Aspekte in der Regionalitätsdiskussion, die grundsätzliche Stabilität von Werten und die absehbare zunehmende Preissensibilität.


Worum dreht sich Ihre aktuelle Studie?

Es handelt sich um eine recht breite repräsentative Befragung zu Risikowahrnehmungen bei Lebensmitteln und zur Frage, wie krisenfest unser Lebensmittelsystem empfunden wird. Es geht uns auch darum, welche Schlussfolgerungen man im Hinblick auf Resilienz künftig ziehen müsste. Aktuell stecken wir noch mitten in der Auswertung.

Welche ersten Erkenntnisse gibt es?

Insgesamt wird die Fähigkeit des deutschen Lebensmittelsystems doch recht positiv gesehen. Die Risikowahrnehmung ist nicht so ausgeprägt, dass die Menschen denken, hier würde in Kürze alles zusammenklappen. Als Risiken für Knappheit werden als Erstes die Hamsterkäufe gesehen und dann erst Lieferstopps von anderen Ländern oder Grenzschließungen. Die Sorge, dass es zu Knappheit durch Probleme in der Lebensmittelindustrie oder durch Schließungen im Einzelhandel kommt, ist dabei am geringsten ausgeprägt.

Wenn das Vertrauen hoch ist, warum kam es dann dennoch zu Hamsterkäufen?

Die meisten schätzen sich selbst so ein, dass sie nicht gehamstert haben, sehen aber im Hamstern das größte Knappheitsproblem. Die Befragten nehmen Knappheiten so war, wie sie sie erleben. Deshalb befürchten sie, dass auch Grundnahrungsmittel knapp werden könnten. Leere Regale bei Mehl und Nudeln waren aber eher ein temporäres Supply-Chain-Problem als eine dauerhafte Knappheit. Neben der Sorge „Knappheiten bei Grundnahrungsmitteln“ folgen auf den Rängen zwei und drei „regionales Gemüse“ und „exotisches Obst“. Bei tierischen Produkten dagegen werden keine Engpässe erwartet. Hier zeigt sich ein recht gutes Gefühl der Menschen für Produkte, bei denen Deutschland einen hohen Selbstversorgungsgrad hat, wie etwa Fleisch.

Corona hat ja auch zu einer kritischen Globalisierungsstimmung geführt. Erleben wir jetzt einen weiteren Aufschwung des ohnehin vorhandenen Regionalitätstrends?

Regionale, nationale Systeme werden aktuell als Sicherheitsfaktor wahrgenommen. Das spielte in der Vergangenheit eigentlich keine Rolle. Regionalität wurde bis dato eher unter Nachhaltigkeitsaspekten betrachtet und als Wertschätzung für die regionale Landwirtschaft von einer breiten Zielgruppe präferiert. Regionalität erhält nun ein neues, zusätzliches Kaufargument, die „Sicherheit der Versorgung“. Ein Thema, das wir in Deutschland in den letzten Jahrzehnten nicht mehr ernsthaft diskutiert haben. Das wird uns wahrscheinlich noch eine ganze Weile als Argument in der Diskussion erhalten bleiben und die Regionalitätsdiskussion aus einem zusätzlichen Blickwinkel anfachen. In der Diskussion ist natürlich zu beachten, dass regionale Versorgung nicht grundsätzlich krisensicherer ist, sondern dass es auch auf die Art der Krise ankommt. Wenn man beispielsweise über Wetterrisiken nachdenkt, könnte ein regionales System eventuell krisenanfälliger sein als ein internationales.

Das Thema Nachhaltigkeit, insbesondere Klimaschutz, hatte zu Beginn des Jahres ein Allzeithoch. Wird Corona unsere Werte verändern?

Es wäre überraschend, wenn Corona die Werthaltung der Bevölkerung komplett verändert. Unsere ersten Befragungsergebnisse deuten auch nicht darauf hin. In der Forschung gehen wir davon aus, dass Werte relativ stabil sind. Das wird auch für das Nachhaltigkeitsbewusstsein grundsätzlich zutreffen. Themen wie Klimaschutz werden ihren Stellenwert behalten, auch wenn sie vorrübergehend etwas in den Hintergrund getreten sind.

Wie sehen Sie die Marktsituation für die Gastronomen?

Ein halb gefülltes Restaurant, das mit den bisherigen Deckungsbeiträgen arbeitet, kann nicht funktionieren. Das wird nur funktionieren, wenn wir bereit sind, für diese Erlebnisse – zumindest für eine begrenzte Zeit – etwas mehr Geld zu bezahlen. Es wird wahrscheinlich eine Zielgruppe geben, die sich freut, Gastronomie wieder besuchen zu können, und die diese Zahlungsbereitschaft mitbringt. Wenn sich allerdings nur der wohlhabende Teil der Gesellschaft erlauben kann, ins Restaurant zu gehen, ist das gleichzeitig ein unsozialer Effekt, der zu einer Polarisierung der Gesellschaft beitragen kann.

Welche Rolle wird künftig der Preis spielen?

Aus der Befragung sehen wir, dass Preisbefürchtungen eine Rolle spielen. Erste Anzeichen in Form von steigenden Lebensmittelpreisen sind ja auch schon sichtbar. Es war zu erwarten, dass die Störungen in den Wertschöpfungsketten die Preise anziehen lassen. Bei einem Teil der Produkte müssen wir uns auf steigende Preise einstellen, bei Milch und Fleisch eher auf fallende Preise, da dort die Exporte zurückgehen. Der Anteil preisbewusst agierender Konsumenten wird wieder ein Stück zunehmen. Das konnten wir auch in vergangenen Krisenzeiten beobachten: Krisenzeiten lassen das Preisbewusstsein steigen.


BILD: Klein und Neumann Kommunikationsdesgin


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