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À la minute per App

Vom kontaktlosen Mittagstisch zur digitalen Erlebnisgastronomie. Zu Besuch im Berliner Restaurant "Data Kitchen".


Convenience 4.0. Alexander Brosin, so könnte man meinen, bekommt da das kalte Grausen. Schließlich hat der Küchenchef des Berliner "Data Kitchen" bei Gemüseversteher Michael Hoffmann gelernt. Und der war vor rund zehn Jahren der erste Sternekoch Deutschlands, der in seinem Restaurant "Margaux" auch ein komplett vegetarisches Menü angeboten hatte.


Brosin wurde Hoffmanns Souschef und betreute später den Gemüsegarten des Restaurants. Er hat von der Pike auf gelernt, dass gute Dinge Weile haben. Dass die geschmackvolleren Gemüse langsamer wachsen. Und dass sich eine handwerkliche, produktbasierte Küche eben nur bedingt mit dem zeitgetriebenen Mittagsgeschäft verträgt. Nun aber hat Alexander Brosin Convenience für sich entdeckt – in einem Restaurantkonzept, bei dem gerade eine weitreichende Digitalisierung ermöglicht, in der Küche auf handwerkliche Arbeitsprozesse zu setzen. Nichts ist vorbereitet oder gar vorgekocht, außer vielleicht das gepickelte Gemüse.


Womit wir also im "Data Kitchen" angekommen wären. In einem überraschend ruhigen Hinterhof mitten in Berlin-Mitte. Großzügige Terrasse, dahinter ein wohnlicher Gastraum und gleich vis-à-vis diese Mischung aus Packstation und gestapelten Flachbildfernsehern. Küchenchef Brosin sagt Food Wall dazu.

Diese Food Wall ist also das Herzstück des "Data Kitchen" – Lunchlokal und kulinarischer Eventraum –, das 2016 vom Berliner Gastronomen Heinz „Cookie“ Gindullis und dem Softwareunternehmen SAP initiiert worden war. Gindullis könnte man von seinem "Cookies Cream" kennen, Deutschlands einzigem vegetarischem Sternerestaurant. Die Idee hinter dem "Data Kitchen": Um die Zeit zu sparen, die kaum ein Gast in der Mittagspause hat, wird das Essen via App bereits am Schreibtisch bestellt. Und dann personalisiert bereitgestellt. Auf den einzelnen Fächern der Food Wall leuchtet, flankiert von einigen grafischen Spielereien, der Name auf.


Im "Data Kitchen" lässt man der Küche also Zeit, um die täglich wechselnden Gerichte frisch und handwerklich zuzubereiten. Optimiert sind stattdessen die flankierenden Abläufe. Das "Data Kitchen" macht App-Läufe daraus. Am Smartphone werden Essen und Getränke geordert, wird eine Uhrzeit festgelegt, wird bezahlt und noch das Trinkgeld, zwei, fünf oder zehn Prozent, angeklickt und via PayPal oder Kreditkarte bezahlt. Kommt man ins Lokal, warten die Teller schon in den Wärmeschubladen des Automaten, die nun ihrerseits mit einer SMS geöffnet werden. Ein weiterer Mehrwert in Post-Corona-Zeiten: Jeder Teller hat sein eigenes Fach, auch das Mittagessen weiß also ums Social Distancing. Getränke, Kaffee und die kalten Desserts, die bis dato noch ganz konventionell an den Tisch gebracht worden sind, sollen mindestens in den ersten Wochen und Monaten nach der Wiedereröffnung ebenfalls auf diesem Weg zum Gast kommen. Und dabei ist es gerade diese vermeintlich kühle Technik, die den Raum mit Leben füllt und die Gäste zu Interaktionen einlädt. Verwechselungsgefahr mit einer der typischen Selbstbedienungskantinen besteht nie. Ja dass der Gast seinen Tisch quasi selbst gedeckt hat, hat er vor lauter Erlebnismehrwert nicht einmal mitbekommen. Heinz „Cookie“ Gindullis, die Berliner Clublegende, aus der längst ein ebenso legendärer Gastronom geworden ist, betont derweil dennoch die Grenzen eines derart kontaktlosen Konzepts:


„Für das Mittagsgeschäft ist das eine Wahnsinnssache, für den Businesslunch, für Kantinen, sowieso für Gastronomie an transitorischen Orten wie an einem Bahnhof oder am Flughafen. Abends wollen die Leute in das urbane Leben eintauchen, dann wird das Restaurant auch zur sozialen Bühne, dann braucht es das Menschelnde, den direkten Kontakt.“

Küchenchef Alexander Brosin hätte indes auch schon für das Abendgeschäft eine Idee: „Klar, will niemand fünfmal am Abend zur Food Wall laufen, aber wir könnten etwa einen Picknickkorb packen oder eine Picknicktüte, mit dem oder der es sich die Gäste dann auf unserer Terrasse gemütlich machen können.“ Und schon imaginiert man sich eine solche Abholstation voller Picknickkörbe auch in den Englischen Garten, ans Hamburger Elbufer oder den Usedomer Ostseestrand.



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