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Clean Eating neu gedacht.

Hygiene als Ernährungstrend der Post-Corona-Jahre. Ein Beitrag von Gastro-Journalist Clemens Niedenthal.


Clean Eating: Das waren doch diese Schüsselgerichte, zu denen man unbedingt „Bowl“ sagen sollte. Avocado, Rohköstliches, Chiasamen. Und tatsächlich fühlte sich die Zeitschrift Fit for Fun noch vor zwei Jahren zum Hinweis verpflichtet, dass mit dem Ernährungstrend Clean Eating „nicht die Hygiene gemeint sei“.


Nun, die Geschichte lehrt uns eines Besseren. Ein großer Ernährungstrend der Post-Corona-Jahre wird eben genau die Hygiene sein. Und zwar in vielen Facetten, Aromen und Erscheinungsformen. Mit Aus- und Einwirkungen auf die Speisekarten und die Arbeitsabläufe der Gastronomie, die dem Gast nicht einmal immer bewusst sein werden. Ja, manchmal nicht einmal dem Wirt. Und ich rede jetzt nicht davon, dass endlich auch dieses Szenerestaurant in Berlin-Neukölln einen gescheiten Sanitärbereich haben wird.


These 1: Sharing isn’t caring anymore

Wird es das bald wieder geben? Den großen Community-Table in der Mitte des Gastraums, an dem vormals wildfremde Menschen untereinander speisten. Die zum Teilen konzipierten Vorspeisen, bei denen alle beherzt zugriffen. Mit den Fingern natürlich, denn, so der Sternegastronom Billy Wagner, „pack dein Essen mal wieder an“. Stilbildende Einflüsse kontemporärer Küchen kamen in den vergangenen Jahren aus dem Streetfood oder den asiatischen Garküchen, und mit der Nordic Cuisine wurden im Fine Dining auch durchaus rustikale und archaische Zubereitungsformen populär. Vieles wurde roh gegessen, anderes wiederum geradezu verbrannt serviert. Gut möglich, ja, wahrscheinlich gar, dass wir nun wieder zu konservativeren Esser*innen werden. Zumal in Krisenzeiten die Wohlfühlküche reüssiert. In diesem Sinne hat die Süddeutsche Zeitung dem Sonntagsbraten eine ganze Seite eingeräumt.

These 2: Mit dem Virus einrichten

Corona wird auch die Architektur der Gastronomie verändern. Und etwa neue Sehnsuchtsräume schaffen. Die Separees, als die etwa hochpreisige asiatische Restaurants ihren Gastraum inszenieren – wie geschaffen fürs Social Distancing. Andererseits lebt das Gasthaus immer auch – und immer noch – von einem Gemeinschaftsgefühl. Hier werden Lösungen gesucht und gefunden werden, um kollektive Erlebnisräume zu schaffen und dennoch ein individuelles Sicherheitsgefühl zu gewährleisten. Restaurants werden also auch wieder größer werden müssen, um weiterhin die gleiche Anzahl an Gästen und damit den gleichen Umsatz zu generieren. Der gerade in Großstädten (auch aufgrund gestiegener Mieten) notierte Trend zu immer kleineren, oft „umgenutzten“ Immobilien scheint gestoppt. Die hohe Kunst des Gastgebens, das Wechselspiel aus professioneller Distanz und familiärer Nähe, wird noch einmal zentraler. Spätestens hier wird Hygiene von der handfesten Vorschrift zu einem guten Gefühl, das es den Gästen zu vermitteln gilt – Hygiene wird das neue Hygge.

These 3: Der digitale Gastraum

Wir haben Gastronom*innen gefragt, was sie denn bis dato Positives aus der Krise mitgenommen haben. Eine, ja oft die einzige Antwort: Man habe, notgedrungen, endlich digitale Projekte realisiert: den Onlineshop, den digitalen Bestellservice, den Content fürs soziale Netz. Nun, auch die Gäste sind in diesen Tagen digitaler geworden. Und Themen, die vor drei, vier Jahren noch als Marketinggag belacht wurden, das im Gastraum herumgereichte iPad etwa, sind in ein paar Wochen oder Monaten vermutlich ganz normal: digitale Speisekarten, nur eben nicht auf dem herumgereichten iPad, das wäre ja viel zu virenanfällig, sondern auf den jeweiligen Smartphones der Gäste. Kontaktlose Zeiten sind also prädestiniert für den kontaktlosen Datenverkehr. Bargeldloses Bezahlen wird sich auch in Deutschland durchsetzen. Und zumindest in den Szene- und Hochküchen wird es vermehrt auch ein Ticketing zum Festpreis geben, was ebenso im Sinne vieler Gäste sein dürfte. In Krisenzeiten lässt man sich, auch nach dem zweiten oder dritten Glas Wein, lieber nicht mehr so leicht von der Rechnung am Ende des Abends überraschen.

These 4: Die Digitalisierung des Lebensmittelmarktes

Covid-19 ist eine Gesundheitskrise. Mit gutem Essen fängt Gesundheit an. Gleichzeitig ist jedes Lebensmittel aber nun auf unabsehbare Zeit verdächtig. Erst recht, wenn, wie in einem Fleischbetrieb im Schwäbischen, gleich 200 rumänische Leiharbeiter mit dem Coronavirus infiziert sind. Nachrichten wie diese nähren das Bild einer umsatzgetriebenen, der Globalisierung bedingungslos ausgelieferten Branche. Die Gäste werden vermehrt wissen wollen, was auf den Tisch kommt. Wird davon die Bio-Branche profitieren? Auch. Vor allem wird dies die Digitalisierung des Lebensmittelmarktes vorantreiben – die Blockchain etwa, also die lückenlos vernetzte Distribution. In den USA hatte Walmart seine Gemüselieferanten bereits im vergangenen Jahr dazu aufgefordert, in diese Technologie zu investieren, und dabei vor allem mit der Sicherheit (eben der Hygiene) argumentiert. Walmart hat diesbezüglich bereits das Siegel „Blockchain Certified“ eingeführt. Es sieht einem Bio-Siegel zum Verwechseln ähnlich.


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